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Das Schemamodell

Schema

Ein Schema ist ein stabil verankerter Komplex aus dysfunktionalen Glaubenssätzen ("ich bin inkompetent und mache alles falsch") und fest damit zusammenhängenden Gefühlen, Wahrnehmungen und Erinnerungen. Es entsteht auf der Basis eines angeborenen Temperaments in der Kindheit oder Jugend, wenn eines oder mehrere der zentralen menschlichen Grundbedürfnisse nicht erfüllt werden. Ein aktiviertes Schema löst bestimmte Handlungs- und Denkweisen – „Bewältigungsformen“ - aus, die meistens dem Zweck dienen, das frustrierte Grundbedürfnis (z.B. nach Bindung) indirekt doch noch, oder aber kompensatorisch ein anderes Grundbedürfnis (z.B. nach Autonomie und Kontrolle) zu erfüllen. Einerseits wegen dieses Ersatz-Gewinns und andererseits, weil Schemata neurobiologisch gesehen als gebahnte „Attraktoren“ wirken, sind sie, einmal gebildet, sehr veränderungsresistent.

Beispiel:

Laura T. (32) hat als Kind immer wieder miterlebt, wie ihre herrschsüchtige und zeitweise schwer depressive Mutter unvermittelt einen kleinen Koffer packte und ankündete, die Familie jetzt für immer zu verlassen. So bildete sich neben anderen Schemata auch das Schema „Verlassenheit/Instabilität (im Stich gelassen sein)“, das immer dann aktiviert wird, wenn Frau T bemerkt, dass sich eine Zeitlang niemand aktiv nach ihr erkundigt hat. Sie fühlt sich dann elementar und schmerzhaft einsam. Üblicherweise beginnt sie daraufhin eine Folge kurzer erotischer Eskapaden, bei denen sie die Männer jeweils am anderen Morgen verächtlich wieder verlässt. Das gibt ihr ein „gutes Gefühl“ (Grundbedürfnisse: Autonomie und Kontrolle, Selbstwerterhöhung). Aufgrund von periodisch ausgeprägtem Suchtmittelkonsum (Grundbedürfnis: Unlustvermeidung) kommt sie wiederholt in die Klinik, wo sie jeweils ein unselbständiges und enges Verhältnis zur Therapeutin sucht (Grundbedürfnis: Bindung). Als sie wegen Drogenkonsums auf der Station die Therapie vorzeitig beenden muss, beschimpft sie die Therapeutin heftig und unter Tränen, nie richtig für sie dagewesen zu sein.

Oft liegen der Schemaentstehung kindliche Traumatisierungen oder Vernachlässigungen zugrunde. Wenn starke (oder unangebracht schwache) Gefühlsreaktionen auftreten, liegt meist eine Schemaaktivierung vor. Young unterscheidet 18 Schemata, die jeweils einem unerfüllten Grundbedürfnis zugeordnet werden, so dass fünf „Schemadomänen“ entstehen (Abbildung 1):

Schema Grundbedürfnis Schemadomäne
Verlassenheit / Instabilität
Misstrauen / Missbrauch
Emotionale Entbehrung
Unzulänglichkeit / Scham
Soziale isolation
Sichere Bindung / Schutz Abgetrenntheit und Ablehnung
Abhängigkeit / Inkompetenz
Anfälligkeit für Verletzungen und Krankheiten
Verstrickung / unentwickeltes Selbst
Autonomie, Kompetenz Beeinträchtigung von Autonomie und Leistung
Anspruchshaltung / Grandiosität
Unzureichende Selbstkontrolle / Selbstdisziplin
Realistische Grenzen / Selbstkontrolle Beeinträchtigung im Umgang mit Begrenzungen
Unterwerfung
Selbstaufopferung
Streben nach Zustimmung und Anerkennung
Freiheit, Bedürfnisse und Emotionen auszudrücken
(Grawe: Selbstwerterhöhung)
Fremdbezogenheit
Negativität / Pessimismus
Emotionale Gehemmtheit
Überhöhte Standards / übertrieben kritische Haltung
Bestrafen
Spontaneität und Spiel
(Grawe: Lust und Unlustvermeidung)
Übertriebene Wachsamkeit und Gehemmtheit

Abbildung 1: Schemata, Grundbedürfnisse und Schemadomänen (nach Jacob 2009)

Grundbedürfnisse

Menschen haben eine Reihe zentraler Grundbedürfnisse, die angeboren sind, lebenslang bestehen bleiben und evolutionspsychologisch dem Fortbestand und der Weiterentwicklung der Art dienen. Besonders in Kindheit und Jugend ist die entwicklungsgerechte Erfüllung der Grundbedürfnisse durch die primären Bezugspersonen unerlässlich. K. Grawe unterscheidet vier Grundbedürfnisse (Bindung, Autonomie Kontrolle, Selbstwerterhöhung, Lusterhöhung Unlustvermeidung); J. Young unterscheidet fünf (Bindung, Autonomie, Bedürfnis nach realistischen Grenzen Selbstkontrolle, Freiheit der Äusserung von Bedürfnissen und Emotionen, Spielfreude). Obgleich Youngs Bedürfnisreihe originell und einleuchtend ist, sind die Grundbedürfnisse nach Grawe empirisch besser validiert.

Temperament

Das Temperament ist weitgehend genetisch determiniert. Neben bestimmten motorischen Fähigkeiten, Aufmerksamkeits- und Fokussierungskompetenzen zeigen sich schon früh Tendenzen wie Zurückhaltung oder Kontaktsuche, Extraversion oder Introversion, Hyperaktivität, Verträumtheit etc. Möglicherweise kann das Temperament eine Schemaentstehung begünstigen: Wenn ein konstitutionell zurückhaltendes Kind von den Bezugspersonen (oder Peers!) immer wieder exponiert oder gedemütigt wird, kann sich daraus z.B. leichter das Schema „Unzulänglichkeit“ entwickeln. Wahrscheinlich bestimmt das Temperament aber besonders den Bewältigungsstil – so wird das zurückhaltend-introvertierte Kind eher am ehesten einen sich fügenden oder vermeidenden Stil entwickeln.

Bewältigungsstil und Bewältigungsreaktion

Vom eigentlichen Schema zu unterscheiden ist die Bewältigungsreaktion bzw. der Bewältigungsstil. Die Bewältigungsform ist das Coping, in dem eine Person mit ihrem aktivierten Schema umgeht. Aktivierte Schemata lösen meist starke und schmerzhafte (primäre) Emotionen aus. Um damit umzugehen bzw. sich davor zu schützen, gibt es drei mögliche Reaktionen: Unterwerfung, Vermeidung und Kompensation. Sie entsprechen grob den evolutionsbiologischen Reaktionen Erstarrung, Flucht oder Kampf. Die Bewältigungsformen entwickeln sich lebensgeschichtlich ebenfalls sehr früh und verfestigen sich zum Bewältigungsstil. Die Person kann sich dem Schema fügen, indem sie sich z.B. beim Schema „Abhängigkeit/Inkompetenz“ (primäre Emotion: Angst und Unsicherheit) tatsächlich sehr anklammernd verhält und durch den vorläufigen Gewinn an Bindung den Schmerz etwas mildert. Oder sie vermeidet im Leben entweder Nähesituationen generell bzw. die Wahrnehmung der aktivierten Emotion, z.B. durch Alkohol oder emotionale Panzerung (sekundäre Emotion: Gleichgültigkeit). In der dritten Möglichkeit schliesslich würde sie kompensatorisch bzw. kontra-schematisch handeln, etwa die Partner kritisieren, angreifen (sekundäre Emotion: Wut) und rasch wieder verlassen. Eine Person kann auch zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Bewältigungsreaktionen auf das gleiche Schema zeigen.

Beispiel:

Frau T. in dem o.g. Fall zeigt abwechselnd alle drei Formen der Schemabewältigung: Schemaerduldung (indem sie sich als einsam und hilflos erlebt und die Nähe zur Therapeutin sucht), Schemavermeidung (durch periodischen intensiven Suchtmittelkonsum) und Überkompensation (wenn sie die Partner höhnisch verlässt).

Die Bewältigungsreaktion besteht in der Regel in konkretem Verhalten, kann aber auch kognitiv oder emotional, etwa durch „Abschalten“, „Müdigkeit“ oder durch Rachephantasien, erfolgen.

Das Konzept der Bewältigungsform weist eine gewisse Nähe zu der Unterscheidung zwischen primären und sekundären Emotionen, wie sie z.B. in der Emotionsfokussierten Therapie nach L. Greenberg konzeptualisiert ist, auf; entfernt auch zum psychodynamischen Modell der Abwehrmechanismen.



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